Historie der Bürgervereine

Die Entstehung der ersten Wuppertaler Bürgervereine fällt in eine Epoche gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen in Deutschland. 1871 war das Zweite Deutsche Reich als föderalistischer Nationalstaat gegründet worden. Durch Einführung des allgemeinen Wahlrechts wurde das Parteiensystem neu geprägt und die Politik für alle Bevölkerungsgruppen geöffnet, wenngleich mit der Einschränkung, dass nur Männer ab Vollendung des 25. Lebensjahres wahlberechtigt waren und für den preußischen Landtag bis 1918 das Dreiklassenwahlrecht galt.


Der Aufbruch von der feudalistischen Rückständigkeit in die bürgerliche Modernität - zwar noch begleitet von bürgerlichem Untertanengeist - brachte vor allem im aufsteigenden Bildungs- wie auch im Besitz- und Wirtschaftsbürgertum eine selbstbewusste, neue Gesellschaftsschicht hervor, die als Motor eines fortschreitenden Demokratiebewusstseins wirkte. Beredte Zeugnisse des gewachsenen bürgerlichen Selbstverständnisses sind und bleiben im heutigen Wuppertal die zahlreichen denkmalgeschützten Bauwerke der Gründerzeit. In dieser Epoche entstanden die großen deutschen Parteien, freilich noch nicht mit ihrer in neuerer Zeit kritisierten Omnipräsenz. Es war die Ära der Gründung von Verbänden, Vereinen, auch Bürgervereinen.

Zwar hatten schon früher Interessenvereinigungen bestanden. Die gesellschaftlich starren, zwangsweisen Zugehörigkeiten zu „Gilden", „Zünften" und „Ständen", waren jedoch im Gefolge der Aufklärung als lästige Schranken einer geforderten Chancengleichheit beseitigt worden. Die freie Vereinsgründung gehörte zu den wichtigsten Postulaten des aufstrebenden Bürgertums gegenüber dem feudalistisch geprägten Obrigkeitsstaat. Die „Paulkirchenverfassung" von 1848 garantierte jedem Deutschen das Recht, Vereine zu bilden.

Vor diesem historischen Hintergrund dürften mehrere Faktoren die Gründung von Bürgervereinen im Gebiet des heutigen Wuppertal beeinflusst und bestimmt haben: Die in den Städten mit fortschreitender Industrialisierung vollzogene Trennung zwischen Haushalt und Arbeit, weckte in den bürgerlichen Bevölkerungskreisen ein vorher unbekanntes Freizeitbewusstsein. Dies förderte die Gründung von Vereinigungen mit geselligen Zwecksetzungen. Solche Vereinigungen boten dem Einzelnen in einer sich mit zunehmender Dynamik und Unüberschaubarkeit entwickelnden Industriegesellschaft die Möglichkeit kollektiver Identifikation und gaben ihm unter Gleichgesinnten ein Gefühl von Stärke und Geborgenheit.

Die, wenn auch noch eingeschränkte, demokratisch -politische Teilhabe beschleunigte die Entstehung von Vereinigungen im vorpolitischen Raum. Schließlich war der weitgehend auf Ordnungsfunktionen reduzierte Staat der Kaiserzeit im leistenden und gestaltenden Bereich wesentlich mehr als unser moderner Sozialstaat auf private Initiativen aktiver Bürger angewiesen.

Diese Lücke wurde von den ersten Bürgervereinen - getragen vom aktiven, selbstbewussten Bürgertum -teilweise geschlossen. Später gegründete Bürgervereine führten die Tradition ihrer Vorbilder unter Beachtung des im Laufe der Zeiten gewandelten Staats- und Gesellschaftsverständnisses fort. So sind unsere jüngsten Bürgervereine aus Bürgerinitiativen hervorgegangen.

In der gesellschaftlichen Entwicklung der Wuppertaler Bürgervereine setzte der Nationalsozialismus eine traurige Zäsur. Die Bürgervereine wurden verboten und mussten ihre Aktivitäten einstellen. Erst mit Entstehung der Bundesrepublik Deutschland und dem neu auflebenden Demokratiebewusstsein, konnten Bürgervereine wiedergegründet werden und zu alter Stärke zurück finden.

Dem heutigen Betrachter fällt die relativ große Zahl der Wuppertaler Bürgervereine auf. Sie ist nur erklärbar aus der Entstehungsgeschichte dieser Stadt.

Die Großstadt Wuppertal - mit fast 400.000 Einwohnern die 17. größte Stadt der neuen Bundesrepublik Deutschland und 7. größte Nordrhein-Westfalens - ist Ergebnis einer Verschmelzung aus ehemals selbständigen Städten, Gemeinden und Ortsteilen, mit den Oberzentren Elberfeld und Barmen sowie zahlreichen Stadtteilorientierten Unterzentren.

Wuppertal verdankt seine Entstehung einem Gesetz des Preußischen Landtags, mit dem die Vereinigung von Barmen (damals ca. 190.000 Einwohner) und Elberfeld (damals ca. 170.000 Einwohner) festgelegt wurde. Aufgrund des "Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch- westfälischen Industriegebiets", das am 1. August 1929 in Kraft trat, wurden die Stadtgemeinden und Kreise Barmen und Elberfeld zu einer Stadtgemeinde „Barmen-Elberfeld" zusammengeschlossen.


Zusätzlich eingegliedert wurden 
aus dem Landkreis Mettmann: die Stadtgemeinde Vohwinkel unter Grenzberichtigung gegenüber den Stadtgemeinden Solingen und Wülfrath, die Stadtgemeinde Cronenberg unter Grenzberichtigung gegenüber der Stadtgemeinde Remscheid, Teile der Stadtgemeinden Haan, Wülfrath und Hardenberg-Neviges, Teile der Landgemeinden Schöller und Gruiten, aus dem Landkreis Lennep: die Stadtgemeinde Ronsdorf unter Grenzberichtigung gegenüber der Stadtgemeinde Remscheid, ein Teil der Stadtgemeinde Lüttringhausen (Ortsteil Beyenburg) unter Grenzberichtigung gegenüber der Stadtgemeinde Radevormwald,

aus dem Landkreis Schwelm: Teile der Landgemeinde Gennebreck.


Diese Städtevereinigung hatte zwei kleinere Vorläufer. Bereits 1888 war die selbständige Bürgermeisterei Sonnborn aufgelöst und der größere Teil dieses Ortes der Stadt Elberfeld, der kleinere der Stadt Vohwinkel eingemeindet worden. Im Osten war das Amt Langerfeld, welches aus den Landgemeinden Nächstebreck und Langerfeld bestand, durch preußisches Gesetz im August 1922 vom westfälischen Kreis Schwelm abgetrennt und mit dem rheinischen Landkreis Barmen vereinigt worden.

Die von oben diktierte Stadtgründung Wuppertals wurde in den rivalisierenden Städten Barmen und Elberfeld anfangs mit Vorbehalten aufgenommen, obwohl die Schwebebahn, das am 24. Oktober 1900 eingeweihte, heutige Wuppertaler Wahrzeichen, schon 1903 die Städte Elberfeld und Barmen verbunden und verkehrstechnisch vereinigt hatte.

Bleibt nachzutragen: Durch die kommunale Neugliederung in Nordrhein-Westfalen wurden am 1. Januar 1975 die Ortsteile Dönberg und Obensiebeneick aus der Stadt Neviges, der Ortsteil Dornap aus der Stadt Wülfrath sowie die selbständige Gemeinde Schöller nach Wuppertal eingemeindet.

Diese heterogene Zusammensetzung Wuppertals - der Name wurde nach Vorschlag der Stadtverordnetenversammlung durch Erlass des Preußischen Staatsministeriums vom 25. Januar 1930 verliehen - hat nicht nur ein unterschiedliches Traditionsbewusstsein, sondern auch differente menschliche und städtebauliche Wesensmerkmale der jeweiligen Stadtteile begründet. Wuppertal war und bleibt ein Schmelztiegel zwischen rheinischer und westfälischer Mentalität. Diesen Pluralismus spiegeln unsere Wuppertaler Bürgervereine wider.

Die Frage nach der Berechtigung von Bürgervereinen in jetziger Zeit wird mit ihren Zielen, Zwecken und Tätigkeiten beantwortet. Von den weitgefächerten Aktivitäten sollen zwei Teilbereiche exemplarisch die Wirkungen von Bürgervereinen für unser Gemeinwesen veranschaulichen.

Der Umweltschutz gilt heute - neben der Sicherung des Friedens - weltweit als die wichtigste staatliche und gesellschaftliche Herausforderung. Die Notwendigkeit auch innerhalb einer Industriestadt die natürliche Umwelt zu erhalten, wurde von den Bürgervereinen schon erkannt, als das Wort Umweltschutz noch gar nicht im allgemeinen Sprachgebrauch existierte. So wurde die Grünzone des Barmer Nordparks durch tätige und finanzielle Initiativen des Nordstädter Bürgervereins geschaffen. Diese grüne Lunge Wuppertals - eine von vielen - wird noch heute von den Mitgliedern des Bürgervereins - einschließlich des Wildgeheges - gewartet und gepflegt.

1988 wurde der Umweltschutzpreis der Stadt Wuppertal dem jüngsten Wuppertaler Bürgerverein, der IG Bendahl, verliehen. 1992 erhielt derselbe Bürgerverein einen Sonderpreis beim Landeswettbewerb "Mehr Natur in die Stadt" für seine herausragen- den ökologischen Leistungen. Dies belegt, dass Bürgervereine nicht auf alten Positionen verharren.

Ist aktiver Umweltschutz das erste, so sind soziale Leistungen das zweite Beispiel der Bedeutung unserer Bürgervereine für Wuppertal. Durch vielfältige Aktivitäten und Veranstaltungen mit karitativen, gemeinnützigen Zwecksetzungen tragen die Wuppertaler Bürgervereine zu einem Spendenaufkommen von jährlich sechsstelligen Beträgen bei.


All dies erlaubt keine selbstgefällige Eigenbetrachtung oder gar dünkelhaftes Zurücklehnen mit stolzem Blick auf Geleistetes, vielmehr soll es Aufforderung und Ansporn für weitere, künftige Aktivitäten sein. Bürgervereine können nur leisten, was ihre ehrenamtlichen Mitglieder mit zeitlichen und finanziellen Opfern zugunsten des Gemeinwohls einbringen.

 

Die überparteiliche, heterogene Zusammensetzung der Bürgervereine bleibt Garant für Offenheit und Aufgeschlossenheit. So sollen und wollen lebendige Bürgervereine auch künftig dem Wohle unserer Stadt Wuppertal dienen.
 

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